ANTIGURU:

Spirituell Inkorrekte Weisheit

200 Seiten

Die neue Art von Guru ist der Antiguru. Um die Person geht es hier nicht, es gibt keinen Buddha. Die Wahrheit aber, die gibt es, atmet, die lebt.

Blick ins Buch

„Es war einmal ein Zeitalter der Gurus. Wer ernsthaft nach der Wahrheit suchte, brauchte einen Lehrer, aber nicht irgendeinen. Man brauchte einen besonderen Lehrer, einen „Guru“. Die Tradition besagte, dass dieser Jemand als Repräsentant Gottes angesehen werden sollte, als eine Person, die nicht vom Weg selbst zu unterscheiden war, als jemand, dem man seine Hingabe schenken konnte, als jemand, der Entscheidungen besser für einen treffen konnte, als man selbst. Indem man sich an den Lehrer verlor, löste man sich im Idealfall in die Gottheit auf.

Glücklicherweise oder unglücklicherweise erlangten Gurus, egal welchen Grad spiritueller Verwirklichung sie erreichen konnten, nie wirklich Gottheit, zumindest nicht mehr als Sie oder Ihre Tante Matilda. Solange sie in einem menschlichen Körper lebten, blieben sie fehlerhafte und korrumpierbare Menschen mit begrenzter Persönlichkeit und der Tendenz, ihre eigene kulturelle Prägung für ihre Anhänger zu reproduzieren. Die eigene Autorität an einen anderen Menschen abzugeben, ist mit Herausforderungen verbunden. Wie Sie sicher wissen, rate ich davon ab.

In manchen Kontexten und Sprachen bedeutet „Guru“ einfach Lehrer, im eigentlichen Sinne des Wortes. Um ein sogenannter „spiritueller“ Lehrer zu sein, muss man sich nicht als Übermensch darstellen. Man kann einfach Mensch sein. Wir alle können einander Lehrer sein. Man kann so viele haben, wie man möchte.

Das Zeitalter der Gurus ist dem Zeitalter der Autodidakten gewichen. Alle Gurus (wahre, falsche und dazwischenliegende) haben ihre Lehren niedergeschrieben, transkribiert oder reproduziert. Suchende können die Bücher lesen und ihren eigenen Weg gehen, indem sie aus allen Weisheitsquellen der Welt schöpfen und dabei Retreats, Satsangs und Workshops kombinieren. Das bedeutet aber auch, dass Suchende in die Irre geführt werden, falschen Spuren folgen, sich ungünstigen Praktiken und Menschen widmen und jahrzehntelang in kontraproduktiven Intellektualisierungen und Ablenkungen gefangen bleiben können.

Während Maya die Schöpferin dieses Labyrinths ist, tragen viele Gurus die Verantwortung dafür, die Sache noch komplizierter und verwirrender zu machen. Um den Weg aus diesem Labyrinth zu finden, ist es vielleicht Zeit für einen Anti-Guru.

Ein Anti-Guru verlangt nicht, dass du ihm deine Autorität unterwirfst. Er tut das Gegenteil. Er erinnert dich immer wieder daran, selbst herauszufinden, was für dich wahr ist. Ein Anti-Guru würde niemals Hingabe an etwas anderes als dich selbst vorschlagen. Er lenkt die Aufmerksamkeit von sich ab und richtet sie wieder auf dich. Ein Anti-Guru mag zeigen, gestikulieren, nachdenken, nicken oder vielleicht sogar sanft schubsen. Doch seine Handlungen sind wie ein Spiegel, und alles, was du in ihm siehst, ist … dich selbst.

Der ideale Anti-Guru wäre jemand, der gar nicht existiert. Du könntest von ihm lernen, ohne seiner Religion beitreten oder einen vorübergehenden Glauben annehmen zu müssen. Du könntest seine Führung nutzen, ohne dich in seiner menschlichen Darstellung zu verlieren. In der Postmoderne, im Zeitalter des Autodidakten, kann ein imaginärer Anti-Guru Dinge tun, die echte Gurus nie konnten.“

Ken McMordie

Spirituelle Korruption

Wo er die Welt für wirklich hält, da ist der Mensch spirituell korrumpiert. Korrumpiert wird er durch seine sechs Sinne. Sechster Sinn: Vater Verstand. Den Rest besorgt das Mitsein. Auf Pawlow-Art wird er programmiert, bis er sein Ich-Korsett freiwillig überzieht.

Hier und da rebelliert einer und baut sich sein eigenes Ich-Korsett und hält sich für frei. Hier und da finden auch Umbauten statt an getragenen Korsetten. Altersbedingt zum Beispiel. Oder wenn Menschen Texte wie diesen hier lesen und ein spirituelles Ich in ihr Korsett nähen. Manch einer nimmt sogar einen neuen Namen an und lässt sich einen langen Bart wachsen.

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Gemäß der Täuschung wird gelebt, im Korsett wird gestorben, Homo corruptus begraben. Sein Erbe aber lebt weiter. Als Maya. Die Fackel der Blindheit wird weitergereicht von Generation zu Generation.. Der Menschheit ist dieser Prozess bestens bekannt als „Zivilisation“. Ganze Völker mögen untergehen. Die große Lüge aber, die lebt weiter.

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Das Weib und der Schein

Man darf ja nichts mehr sagen heutzutage. Aber wenn es eines gibt, das noch schrecklicher wäre als das Patriarchat, dann ist es das Matriarchat. Das Prinzip der Täuschung wird ja nicht grundlos von jeher als Maya, als weibliche Kraft angesehen. Das Matriarchat wäre vollständiges Ausgeliefertsein an den Schein.

Das weibliche Prinzip ist Liebe zur Schöpfung. Die Schöpfung ist aber nur Schein. Das Weib kann Himmel auf Erden kreieren durch seinen Liebesdienst. Aber es kann den Schein nicht durchdringen. Und will es auch nicht. Es will ihn erhalten, es will sich ihm schenken als Liebesopfer.

Die männliche Liebe ist Liebe zur Erkenntnis. Nicht dort, wo zurückgebliebene Idioten ein Patriarchat errichten und einander unterdrücken und erschießen, wo weltliche Macht den Mangel an Geisteskraft ersetzen soll – und auch nicht dort, wo Männer sich anderweitig dem Weib in sich ergeben und als Frauen verkleiden und Regenbogenfahnen hissen – sondern von der Urkraft des männlichen Prinzips her. 

Nietzsche war kein Frauenhasser. Er sah nur die Urprinzipen. Im Matriarchat, auf Liebe zum Menschen, zur Schöpfung gebaut, sah er den Untergang. Denn er liebte den Übergang, er opferte sich der Wahrheit. Genau das ist männliche Liebe – von der das Weib natürlich nichts wissen will.

Ich kann auch nicht viel Gutes im Matriarchat erkennen. Dann doch lieber die Atombombe. Derweil ist das Weibische längst auf dem Vormarsch. Selbst im Manne. Wer heute noch die Grenze vom diktierten zum eigenen Denken überschreitet, der wird gleich als Verschwörungstheoretiker verunglimpft. Auch die spirituellen Bewegungen unserer Zeit sind allesamt weibischer Natur. Nicht erkenntnis-, sondern erlebnisorientiert. Mit Räucherstäbchen und Mantrasingen Tränen der Rührung.

Das Weib inszeniert, das ist seine Natur. Es liebt den schönen Schein, den das Männliche in schöner Regelmäßigkeit kaputt schlägt.  Wofür sie ihn anklagt, als sei er der Stein im Weg zur heilen Welt. Dabei gibt es keine heile Welt, es gibt überhaupt keine Welt. So wenig wie Männlein und Weiblein. Da ist bloß Liebe zum Schein – und Liebe zur Auflösung des Scheins. Da sind Herz und Geist. Alles – und nichts.

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Der Mann und das Meer

Kurz vor dem körperlichen Tod geht das Leben in der Regel noch einmal am Sterbenden vorbei. Erinnerungen tauchen auf aus alten Zeiten, an prägende Gesichter und Erfahrungen, an das eigene Werden von Kindesbeinen an. Wo ein Mensch vor dem physischen Tod zu sich selbst erwacht, da ändert sich die Perspektive auf diese Traumwelt. Die Gegenwart erscheint nunmehr als Blick in die Vergangenheit und andere Menschen als Erinnerungen daran, wer und was man einmal selbst gewesen ist – oder besser, zu sein glaubte. Nicht das eigene Menschenleben geht noch einmal an einem vorbei, sondern die lange Reise tief und tiefer in die Ich-Welten der Täuschung – und der Weg  zurück zum wahren Selbst. Die lange Reise tief und tiefer in den Wahnsinn – und der Weg zurück ins Nie-Gewesen-Sein.

Wo der noch in der Täuschung gefangene Mensch vor dem physischen Tod sein persönliches Leben noch einmal erinnert, da ist dem erwachten Geist die Traumwelt der Gegenwart in ihrer Gänze Erinnerung. Das Erinnern mutet dabei unpersönlich an. Aber in Wirklichkeit ist es überpersönlich. Trans-persönlich. Alles hier ist Erinnerung an das, was ich einst gewesen. Jede Form gehört dazu, jeder Zustand, jede Stufe, jede Erfahrung, jeder Wahnsinn, jedes Sein und Werden und Entwerden. Da war nie ein eigenes Leben. Aber da war sehr wohl ein eigener Weg im ureigenen Spiel, den niemand gegangen ist.

Spieler ist immer nur das wahre Selbst. Ein einziges neugieriges Kind wandert auf unzähligen Wegen durch unzählige Welten, die es selbst erträumt, zurück zu sich selbst. Letztlich war es nur ein Kind, nur ein Spieler, ein einziges Spiel, ein einziger Weg durch keine Welt zurück zur Wirklichkeit. Töricht, einander helfen zu wollen. Ich würde auch mein Maul halten, wenn ich nicht Kohle bräuchte. Alles beschriebene Papier würde ich verbrennen und das Sprechen verlernen.

Andererseits hat mein letzter Lehrer mir geholfen, aus meiner Vergangenheit in meine Gegenwart zu treten. Außer ihm bin ich immerhin noch einem weiteren Menschen in meiner Gegenwart begegnet. Es ist also immer alles möglich. Frustrierend ist, wie langsam sich bewegt, was in der Vergangenheit lebt. Es läuft und tut, aber es kommt nicht vom Fleck. Eben weil es sich in der Vergangenheit bewegt. Weil es sich, auch wenn es will, nicht verändern kann in dem, das nie gewesen ist, als das, was es nie war.

Du glaubst noch an Wege, Du hältst die Vergangenheit noch für Deine Gegenwart. Nur deshalb bist Du nicht dort, wo ich Dir begegne. So wenig wie Du mich findest, wo Du bist. Denn wo Du bist, da suchst Du auch Dich selbst vergeblich. Derweil ich Dich wiederfinde in unserem Nie-Gewesen-Sein.

Fackelträger

Was Nisagardatta meint, wenn er sagt, das wahre Selbst könne ziemlich gewalttätig sein, ist nicht Maschinengewehrgewalt, sondern es zerreißt einem gnadenlos das Leben, zieht einem den Boden unter den Füßen weg, missbraucht das Vertrauen, zerstört die Hoffnungen und legt das Leben in Trümmer. Es ist schrecklich, aber es ist Gnade und hat nichts mit dem Reich von Karma und Schicksal des Egos und Mayas zu tun. Es ist der ultimative Ruf des Schicksals, es ist der Ausweg aus Karma und Schicksal, aus der Ego/Maya-Knechtschaft, aus der Selbsttäuschung, auf der das Ego baut.

Ich glaube, so etwas ist ziemlich selten. Es passiert nur denen, die schon sehr lange da sind –- zu lange in den Augen des Selbst. Für andere, deren Zeit noch nicht abgelaufen ist, gibt es noch Raum, mit Ideen zu flirten, sich weiße Kleider anzuziehen, um dem Meister zu Füßen zu sitzen, oder sogar genau diese Rolle zu übernehmen und sich mit Schülern zu umgeben. Für uns ist es die Muppet-Show, aber sie haben Spaß an diesem Doppelspiel.

Währenddessen bleibt es unbegreiflich, dass es von jeher immer nur sehr wenige Menschen gegeben hat, die wirklich erwacht sind. Was ist da los? Sollte es nicht ein Gleichgewicht zwischen ein- und ausgehenden „Partikeln“ geben? Vielleicht liegt es am Kali Yuga. Vielleicht ist es üblich, innerhalb dieser Matrix in andere „Zeiträume“ hinüberzuwechseln, wenn es Zeit für den letzten Schritt ist, in Zeiträume, da die Maya-Herrschaft weniger ausgeprägt ist und der Übergang leichter fällt.

Ich hatte immer das Gefühl, dass dies nicht mein erstes Erwachen war. Vielleicht kamen wir nur als Fackelträger hierher. Das Tor muss wohl auch in den dunkelsten Zeiten offen gehalten werden, damit Wesen Hilfe finden, hinüberzugehen, selbst wenn es unwahrscheinlich ist, dass jemand diese Hilfe sucht, geschweige denn diese Führung richtig nutzt und sich wirklich befreit.

In diesen Zeiten sind wir der Eingang zur Brücke, die niemand auch nur anzusehen wagt. Das macht das Herumhängen hier noch unangenehmer, als es ohnehin schon wäre. Ich muss mich nur daran erinnern, wie sich alles für mich gefügt hat, um zu wissen, dass nichts unmöglich ist. Unwahrscheinliches ist nicht unmöglich. Deswegen sind ja stets ein paar Fackelträger Teil der Show.

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