Basu Winter
Erträumte Wesen blicken zwangsläufig von innen heraus auf ihre Welt. Ich habe mich schon als Kind immer wieder gefragt, was das Leben eigentlich ist und was das alles soll. Ohne diese Frage, ohne diese Neugierde, die ja selten genug ist, kann es gar kein Wachsen des Gewahrseins geben. Vielleicht ist Neugierde auch das falsche Wort. Vielleicht ist es Sehnsucht. Oder Intuition. Eine innere Stimme, die flüstert, dass das hier nicht das Leben ist. Sondern nur ein Traum, eine Simulation, die täuschend echt wirkt, an der aber nichts echt ist. Nicht einmal der eigene Körper, die eigene Psyche. Nicht einmal der Raum, die Zeit, nicht einmal Erde und Himmel, nicht einmal der Tod.
Die Entdeckungsreise steht jedem sogenannten Menschen offen, aber man fliegt lieber zum Schnäppchenpreis in den Pauschalurlaub mit Halbpension. Die innere Reise ist dann doch zu teuer. Wer würde freiwillig Erde und Himmel verlieren und obendrein gleich noch sich selber sterben? Nur kranke Sonderlinge mit Sonnenallergie, die schon als Kinder die falschen Fragen stellen. Nur Verrückte, nur Selbstmörder, die statt drei Wochen Ägäis ein One-Way-Ticket ans Ende der Welt buchen, um von dort in den Abgrund zu springen. Dabei hat Lesbos mehr zu bieten als Kieselstrände voller Lesben, exotische Berglandschaften zum Beispiel, alte Kulturstätten, gemütliche Altstädte und allabendliches Animationsprogramm im Beach Resort (griechischer Tanz). Nur Nörgler verwehren den Tanz, nur Querulanten saufen den Ouzo allein, nur ignorante Narren fliegen einfach über alleLänder und Kulturen, über alle Landschaften und Kontinente und Ozeane hinweg ans Ende der Welt, um zu sterben.
Apropos Lesbos, Kazantzakis hat ja gleich nebenan auf Ägina ‚Sorbas‘ geschrieben, einen Roman über einen Nörgler, der auf dem Weg zum Ende der Welt von eben jenem Sorbas aufgehalten wird, einem griechischen Lebenskünstler, der ihn das Leben lieben und sein eigentliches Anliegen nicht nur einstweilen vergessen, sondern gleich ganz begraben lässt. Das Buch hat Weltruhm erlangt, genau das will der Mensch ja hören, dass das Animationsprogramm hier seinen Preis wert ist, das Bohren aber nicht. Vernunft ist, beim Schwimmen im offenen Meer das Ufer im Blick zu behalten. Weisheit ist, die grenzenlose Weite, die dunkle Tiefe ganz zu meiden, wohlwissend, dass sie droht, dich zu verschlingen.
Weinfreunde wissen, dass in der nördlichen Ägäis vornehmlich Muskateller-Sorten angebaut werden. Freunde der Wahrheit wissen, dass die simulierten Sinne Eindrücke einer Welt vermitteln, die es gar nicht gibt, derweil alles besser riecht als es schmeckt, unsere nimmersatten simulierten Mäuler die Brocken unserer simulierten Welt also mit dem bitteren Beigeschmack der Enttäuschung hinunterschlucken, wieder und wieder. Dieser bittere Beigeschmack stößt mit der simulierten Zeit immer saurer auf, so dass der Blick ganz von allein vermehrt das Weite sucht und es das Herz von selbst vermehrt in seine Tiefe zieht. Dieser Zug ist der Zug zum Ende der Welt. Und die Übersäuerung, der Selbstverdruss, löst das endgültige Ticket.