Bozo Brecht
Schön mit Käse überbacken. Außen hart und knusprig, teilweise verbrannt, aber innen noch weich. Der Käse, meine ich. Auch der Mensch, wo er noch lebt. Wo er noch Teil der Ganzheit ist, von der niemand wissen will, weil der gemeine Mensch eine Ganzheit ganz anderer Ordnung erstrebt und lebt. Im Glauben zum Beispiel. In Beziehungen. In der Arbeit. Im Besitz. Nur müssen seine Taschen schon voll sein, damit nichts fehlt. Beziehungen dürfen nicht in der Wirklichkeit, dem Schmerz der Austauschbarkeit und Vergeblichkeit, münden, Tätigkeiten nicht als sinnlos, Besitztümer nicht als gegenstandslos, Glaubensätze nicht als Wahnwitz entschleiert werden. Sondern alles Leben und Wirken muss bedeutungsschwanger bleiben bis zuletzt, soll das Ganze nicht in Scherben brechen, soll der liebe Gott und seine Schöpfung nicht gehasst und verflucht, sondern in demütiger Dankbarkeit verehrt werden im Rahmen der halluzinierten Ganzheit menschgemachter Ordnung.
Für mich ist das nicht so. Für mich fehlt der offenen Wunde nichts zur Ganzheit. Dem Nichtstun fehlt nichts. Dem Alleinsein fehlt nichts. Auch dem Mangel nicht. Nicht einmal dem eigenen. Der Ganzheit meiner Ordnung tun auch Laster keinen Abbruch, und es macht auch keinen Unterschied, ob ich an ihnen zugrunde gehe oder ihnen den Kampf ansage. Eben weil sich die Ganzheit, um die sich mein Gefasel dreht, nicht aus Teilen zusammensetzt. Die Teile sind nicht einmal Teil der Ganzheit. Sie sind auch nicht nicht Teil der Ganzheit. Denn was ist, ist zugleich nicht. Nicht als das, was es ist, ist das Teil also Teil der Ganzheit, sondern vollkommen unabhängig davon, was es als Teil ist.
Das ist die Essenz, die sich nach über zwei Jahrzehnten Zwiebelschälen herauskristallisiert hat, die Essenz, von der niemand wissen will. Weil sie die menschliche Ordnung sprengt und Ganzheit ganz woanders findet. Bedeutungsschwanger ist hier nichts. Dafür ist alles fruchtbar. Nicht erst nach der vermeintlichen Geburt. Sondern als ewige Frucht des Ungeborenen. Als das, was ist, derweil es nicht ist. Das ist die Bedingungslosigkeit im Herzen des Ganzen. Von der der Mensch nichts weiß und wissen will, wo er seine eigene Ganzheit zu schaffen sucht, zu seinen Bedingungen. Natürlich sucht er vergeblich, noch wo er gefunden zu haben meint. Denn er kann ja nur geboren zu haben wähnen, was ewig ungeboren bleibt, derweil er schwanger bleibt an seinen Bedeutungen und Bedingungen: seinem Schicksal.
Dies alles herauszukristallisieren ist eine Sache des Zwiebelschälens. Und die persönlichen Bedeutungen und Bedingungen rund um die persönlichen Träume von vermeintlicher Geburt sind die Schalen. Schließlich ist das Persönliche, die Person ja auch nur Teil und als Teil nicht Teil des Ganzen. Beziehungsweise ist das Persönliche nur Teil des Ganzen als das, was es ist, während es nicht ist. Deswegen kann der Mensch ja zu einer Ganzheit, die gar nicht Teil seiner Ordnung ist, erwachen. Weil er sich als Mensch erkennen kann als das, was er nicht ist, weil er besagte Essenz ist. Vermeintlich geboren und Zwiebel geworden. Und doch nie Zwiebel, ja nicht einmal schwanger gewesen, sondern ewig ungeboren geblieben.
Der Traum von der Ganzheit der eigenen Ordnung ist nicht der erhoffte Käse in der Zwiebelsuppe, sondern Teil der Schale der Zwiebel, Teil des Teiles namens Menschsein. Vom Leben ist nichts zu erhoffen, zu erwarten. Auch vom Tode nicht. Deswegen ist auch nichts zu fürchten. Was soll schon sein? Alles Zwiebelschalen, die in kleine Stücke gehackt und geröstet gehören. Dass all das gar nicht existiert, das ist der Käse, der Weißwein, das Salz in der Suppe. Der Genuss ist aber anderer Ordnung und hat mit dem Koch und seinem Rezept so wenig zu tun wie mit den scheiß Franzosen. Schließlich ist hier alles Haute Cuisine, auch die ekelhaftesten Aspekte des Daseins und das Dauerkotzen dazu sind kulinarische Reisen zum Genießen, vergleichbar mit dem kranken Genuss daran, den eigenen Furz zu riechen.
Deswegen rede ich ja auch so gerne über meine Hämorrhoiden und die verfaulenden Zähne in meinem gierigen Maul. Deswegen war ich glückselig, als heute Morgen beim Kacken das Blut spritzte. Was auch immer spritzt, der Ganzheit tut es keinen Abbruch. Was immer wir uns als Menschen ins Maul stopfen, das erbrechen wir als Scherben. Das macht das Menschsein ja gerade aus. Das Leben ist pervers, keine Frage. Der Mensch kann als Wunde gar nicht heilen. Menschsein und Scherben sind eins. Genau wie Zwiebelsuppe und Blähungen. Wie Geburt das Sterben schöpft, so reißen Scherben Wunden, und deshalb heilt der Mensch nur ohne sich.