Nondualität ist zumindest in einigen Kreisen der Gesellschaft wieder hoffähig geworden. Hoffähig heißt, in einem Maße angepasst und damit entstellt, das sicherstellt, dass der Michel den Brocken gerne schluckt. Es hat sich quasi eine vermarktbare Version der Wahrheit entwickelt, vergleichbar mit pakistanischem Sushi: unzählige kleine bunte Reisbällchen in herrlicher Farbenpracht auf einem riesigen Silbertablett symmetrisch angeordnet – nur enthält keines der Bällchen rohen Fisch, weil den in Pakistan niemand mag.

Der rohe Fisch sieht so aus: Einheitsbewusstsein reißt dich psychisch in Stücke. Was auch immer die Psychiatrie an Identitäts- und Persönlichkeitsstörungen definiert, ist ein Stück Makrele aus der Dose gegen das, was sich geistig-psychisch an Dissoziation, an Selbst- und Weltentfremdung und -auflösung vollzieht, wo der rohe Fisch geschluckt wurde. 

Das hat unter anderem mit der Tatsache zu tun, dass nonduales Bewusstsein den Verstand ad absurdum führt. Die herkömmliche Logik und ‚Vernunft‘ ist außer Kraft gesetzt. Und damit ist es auch das herkömmliche Selbstverständnis, ja das Verständnis aller Dinge. Schließlich ist jetzt klar, dass, was immer gesagt werden kann, mit Sicherheit nicht wahr ist. Und somit nichts von dem, was verstanden wird, wirklich verstanden ist. Der Verstand ist die Magensäure, die den rohen Fisch zersetzt, damit er verdaubar wird. Zersetzung aber kann gar kein wirkliches Verstehen nach sich ziehen. Sie kann nur zersetzen. Um des Körpers, um des Traumes willen. Aber nicht um der Wahrheit willen.

Der Fisch wird zersetzt. Was immer von dem, das übrig ist, den Körper nährt, wird absorbiert, was ihm nicht dient, wird ausgeschieden.  Es wurde nichts begriffen, es wurde bloß das Überleben gesichert. Es wurde die Existenz gestärkt. Der ganze rohe Fisch, die Wahrheit, wurde um der Existenz willen geopfert. Dies ist, was Allen Watts die „Degradierung“ all dessen nennt, was der Verstand berührt.

Das gilt nicht nur für die physische, sondern auch für die seelische Existenz. Die Einzelseele tritt in Erscheinung, indem die Wahrheit geopfert wird. Der vereinzelte Geist, das vereinzelte Gemüt ist quasi ein Abbauprodukt des Fisches, das nur dadurch vereinzelt zu existieren scheinen kann, dass es seine eigentliche Essenz vergisst. Eben darum reicht die Depersonalisation und der Derealisation, die im Zuge des Einheitsbewusstsein vonstatten geht, bis ins Seelische hinein: Die Umkehr der Degradierung der Wahrheit ist die Selbst- und Weltvernichtung.

Nicht weniger nuklear wirkt der Sprengstoff im Herzen.  Der gemeine Mensch lebt im dualen Herzen, das noch trennt zwischen „ich“ und „du“, dass sich noch abgrenzen kann von den Leiden und Nöten „anderer“. Damit bleibt das Leben erträglich, das Mitgefühl im Rahmen, der Fokus auf die „eigene“ Existenz möglich. Das Einheitsbewusstsein walzt alle diese Grenzen nieder. Das Leid „anderer“ wird unerträglich – und zwar eben nicht mehr im Rahmen „fremder“ Existenz, sondern als Unerträglichkeit des „eigenen“ Daseins.

Dasselbe gilt natürlich auch für den euphorischen Vogelgesang an einem schönen Sommertag oder für das Lächeln in den Augen eines Kindes. Eben deshalb kommen im nondualen Herzens das „Ja“ und das „Nein“ zur vollen Blüte. Das Ja und das Nein werden ganz und gar zweifellos, schrankenlos, bedingungslos, klar. Und zwar gleichzeitig. Als seist du absolut tot – und zugleich absolut lebendig. Denn du bist absolut tot und absolut lebendig. 

Du bist der Unwille zu jedem Willen und der Wille zu jedem Unwillen. Du bist die Essenz des Essenzlosen, der Träger des Untragbaren. Das unlebbare Leben und der unsterbliche Tod. Du hast dich ganz entliebt. Und bist dadurch zur Liebe geworden. Liebe bist du also, die nichts und niemanden liebt. Intelligenz bist du, die nur noch eines weiß: dass alles schon geschehen ist — derweil nie etwas gewesen ist.

Das zu wissen ist auch bitter nötig, denn das nonduale Herz muss nicht nur tragen, mit dem Leid der Welt zu leben. Es muss auch die Verantwortung für dieses Leiden tragen. Denn es weiß: Der rohe Fisch enthält alles Gift der Welt. Jeder Dämon, jeder Massenmörder, jeder Kinderficker bist du. Das ist der unvorstellbare Riss, der das nonduale Herz, so sehr du ihn auch bekämpfen magst und zu negieren suchst, schließlich zerreißt. Die Erlösung ist der Fall durch diesen Riss, der Fall ins Nie-Gewesen-Sein. Ins Wissen darum, dass der Fisch in Wahrheit nicht nur immer ganz geblieben, sondern bloß im Spiegelbild erschienen ist.

Die Schöpfung, der Riss und der erlösende Fall. Das ist die Geschichte des nondualen Herzens. Es ist deine Geschichte, die du den Menschen erzählst. Doch hören sie dich nicht. Landest du in ihren Netzen, werfen die Fischer dich zurück ins Meer. Nicht nur die pakistanischen, auch die japanischen Fischer. Du taugst nicht für dieses und auch nicht für jenes Sushi. Selbst unverdaulich, zersetzt du den Esser. Von innen her zersetzt du ihn, bis alles Gewordene entworden, bis das Selbst vernichtet und die Welt verschwunden ist.

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